Station Maurach - Notburgakirche & Notburga Museum
Die Heilige Notburga
Wenngleich man Tirol auch oft das Attribut "heiliges Land" verleiht, bleibt Notburga bis in die Gegenwart die einzige Heilige Tirols. Der Heiligenlegende nach wurde die beliebte Volksheilige um 1265 als Tochter eines Hutmachers in Rattenberg geboren. Sie führte ein gottesfürchtiges und barmherziges Leben als Magd, bis sie 1313 auf der Rottenburg bei Buch verstarb. Sie wurde in der Ruperti-Kapelle in Eben bestattet. Im 15. Jahrhundert setzte eine rege Wallfahrtstätigkeit ein, so dass 1434 die Kapelle vergrößert und der Heiligen geweiht wurde. 1515 erfolgte ein gotischer Neubau, von dem - nach einer Barockisierung in den Jahren 1736 bis 1738 – noch Turm und Presbyterium erhalten sind.
Bereits 1718 ließ man vier Bergleute nach den Gebeinen der Heiligen graben. Innerhalb der Grundmauern der alten Kirche stieß man auf Gebeine, die sogleich Notburga zugeordnet wurden. Als Reliquien integrierte man sie im Sarkophag stehend in den Hochaltar der neuen Barockkirche. Eine Marmorplatte markiert bis heute die alte Grabstelle. Lange waren Todesjahr und Geschlecht des gefundenen Skeletts umstritten, doch Untersuchungen 1990 untermauerten die ursprünglichen religiösen Annahmen.
Ludwig Steub, deutscher Schriftsteller und enthusiastischer Sommerfrischler am Achensee, schilderte 1871 die fromme Knochensuche in seinem Werk "Drei Sommer in Tirol" mit einem ironischen Augenzwinkern:
Die Gläubigen der katholischen Kirche legen bekanntlich vielen Werth auf heilige Knochen und verehren sie mit Inbrunst. Um diesem Trieb zu fröhnen stören sie die Ruhe der Todten, graben ihre Gebeine aus, lassen sie mit Gold und Edelsteinen verzieren und stellen sie dann unter Glas und Rahmen auf den Altären zur Verehrung aus. Nach der Meinung einiger Philosophen ist es zwar die niedrigste, eines Menschen kaum würdige Sorte von Cultus, faule Zähne, eingebrochene Nasen und morsche, stinkende Knochen, diese ekelhaften Zeichen menschlicher Hinfälligkeit , als Heilthümer zu verehren; allein die Erfahrung spricht gegen jene Ansicht, denn die Wunder, mit denen diese Verehrung vergolten wird, sind unzählige und so bleibt nichts übrig als zu sagen: Credo, quia absurdum est [Ich glaube, weil es unvernünftig ist]. Im Jahre 1718 überfiel nun auch die Ebener Bauern jener Trieb; sie baten den Bischof von Brixen, die Gebeine der Heiligen erheben zu dürfen; dieser setzte eine Commission nieder, welche die Ausgrabung überwachen sollte, und so gruben denn die Männer von Eben im Boden der Kirche sieben Tage lang, bis sie endlich eine Gerippe fanden, welches sie als das der heiligen Notburg erkannten. Statt mit einigem Schauder, was nicht unnatürlich gewesen wäre, begrüßten die Bauern die Knochen ihrer alten Freundin mit dem größten Jubel, mit Musik und Böllerknall und legten sie ehrfürchtig in einen hölzernen Kasten. Nach mehreren Jahren kam der Geist auch über ihren Gerichtsherrn, den Grafen I. A. von Tannenberg. Er erbat sich die heiligen Ueberbleibsel in seinen Palast zu Schwaz, wo sie seine Frau Mutter und seine Schwestern, die Gräfinnen, wieder mit unübertrefflicher Kunst zusammensetzten und mit Gold, Edelsteinen und reichen Stickereien bedeckten. Die Damen scheinen dabei nicht geahnt zu haben, was doch jetzt manche Osteologen behaupten, nämlich daß die Gebeine, welche sie als die der heiligen Notburg verarbeiteten, eigentlich einem männlichen Skelette angehören, dessen ehemaliger Besitzer freilich nicht mehr ausfindig gemacht werden kann.
Und als die Damen zu Schwaz ihre heilige Arbeit beendigt hatten, wurde St. Notburgen Gerippe wieder unter Begleitung des Bischofs von Brixen und vieler vornehmer Herren aus dem Priester- und dem Laienstande mit Triumphgepränge und Siegespomp in feierlicher Procession nach Eben geführt und dort auf dem Hochaltare zur Verehrung ausgestellt.
„Und so muß denn die heilige Notburg, die demüthige, getreue Magd, die sich bei ihren Lebzeiten wohl wie alle Heiligen nach der kühlen Ruhe im stillen Grabe und nach dem besseren Jenseits gesehnt, sie muß jetzt unausgesetzt da oben stehen und sich voll Flitterstaat in ihrem Glaskasten begaffen lassen bis ans Ende aller Tage.
Unzählige Geschichten ranken sich um Wunder, die Notburga gewirkt haben soll. Die bekanntesten darunter sind das Hobelspanwunder, das Sichelwunder, das Innwunder und das Ochsenwunder. Dem Sichelwunder widmete der liberale Wiener Satiriker Daniel Spitzer einen Essay, in dem er die Heiligenlegende aufs Korn nimmt und sich vor allem um die Sicherheit des Eigentums am Achensee sorgt:
Bei der geringen Anzahl von Spaziergängen, die es am Achensee gibt, darf man nicht sehr wählerisch sein und macht gerne einmal einen Ausflug nach dem auf einer Anhöhe gelegenen Wallfahrtsorte Eben, wo die heilige Nothburga begraben liegt. Diese Jungfrau wird bekanntlich mit einer in der Luft schwebenden Sichel abgebildet, denn als der Bauer, dessen Magd sie war, ihr eines Abends, da sie auf dem Felde betete, befahl, zu arbeiten, schleuderte sie entrüstet die Sichel in die Luft, die sofort dort haften blieb. Es wirft aber ein trauriges Licht auf die Sicherheit des Eigenthums in Tirol, daß man dort nicht einmal landwirthschaftliche Geräthe in der unversperrten Luft aufhängen kann, ohne befürchten zu müssen, daß sie abhanden kommen, und so hat irgend ein Schelm auch die Sichel der heiligen Nothburga aus der Luft gegriffen, denn sie ist jetzt daselbst, man mag sich den Hals ausrenken, wie man wolle, nicht mehr zu sehen. Die wunderthätigen Jungfrauen im heutigen Tirol sind daher weit vorsichtiger, und anstatt Werthgegenstände der Atmosphäre anzuvertrauen, schweben sie lieber, wie ja seinerzeit von glaubwürdigen Zeugen berichtet wurde, selbst in den Lüften, und man hat bisher, Gott sei Dank, noch nie gehört, daß sich Jemand eine solche schwebende Jungfrau anzueignen versucht hätte.
Aus: Daniel Spitzer. Reisebriefe eines Wiener Spaziergängers. Ein musikalischer Tiroler Gasthof. In: Wiener Spaziergänge. Wien 1869 - 86
Direkt neben der Notburgakirche öffnet das Notburga Museum für Interessierte seine Pforten. Die sehenswerte Ausstellung bringt euch das Leben und die Faszination der Heiligen näher. Ein Besuch lohnt sich!